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Aktuell 2016: Diatretgläser

Rosemarie Lierke

Antike Glastechnologie / Ancient Glass Technology

Diatretglas

Eine Vorbemerkung: Nach der Schleiftheorie von F. Fremersdorf wurden die Diatretgläser angeblich aus einem dickwandigen Rohling geschliffen. Das muss man jedoch anhand der Herstellungsmerkmale für die typischen römischen Diatretgläser ausschließen. Das geht u. a. auch aus der Beantwortung der anschließenden ‘10 Fragen an einen Vertreter der Schleiftheorie’ und der nachfolgenden Ergänzung hervor. Allerdings wurden 2010 in Grenoble Fragmente eines Diatretglases gefunden, die aufgrund ihrer untypischen Herstellungsmerkmale tatsächlich auf einen dickwandingen Rohling verweisen. [M. Kappes, J. Glass Studies 53, 2011, 93-101. Siehe dazu L2012 (online) und L2013.] Ein dickwandiger Rohling muss auch für die Situla im Domschatz von San Marco und das  fragmentarische Diatretgefäß von Termantia verwendet worden sein. Beide Gläser haben eine untypische Eimerform und sind besonders spät entstanden, was möglicherweise auch für die Grenobler Fragmente gilt. Eine genaue Beschreibung der Herstellungsspuren der typischen römischen Diatretgläser findet man bei: A. Gerick “..denn man muss die Originale sprechen lassen”, Restaurierung und Archäologie 3 (2010) 117-136. Für einen Vergleich zwischen den Typen siehe Haevernick, Zum Diatret von Termantia. Madrider Mitteilungen 12, 1971, 202/04. Siehe außerdem hier die Zusammenstellung der Literatur mit Beschreibungen von Diatret-Herstellungsspuren im Anschluß an die Liste der Lierke-Diatretpublikationen. 


         

Die bekannten römischen Diatretgläser wurden offenbar aus einem zweischalig mit Verbindungsbrücken gepressten Rohling geschliffen (siehe Abbildung). Ein perforierter Zwischenbecher aus Gips oder einer Mischung aus Gips und Quarzmehl ermöglichte das Pressen eines solchen Rohlings, der mit äußerst geringem Materialverlust aufgeschliffen werden konnte. 

                          Publikationen von R. Lierke über Diatretherstellung

L1995b, One more time - the making of the diatreta cups. In: Glastechnische Berichte 68 (1995) H. 6, 195-204.

L1995c, Vasa diatreta. Teil 2. Die Herstellung der römischen Glasnetzbecher. In: Antike Welt 26 (1995) H. 4, 251-269.

L1996b, Letter: More on the Lycurgus Cup. In: Journal of Glass Studies 38 (1996) 276

L1999, R. Lierke mit Beiträgen von Matthias R. Lindig, Albrecht Locher, Hans Mommsen, Beat Rütti, Birgit Schlick-Nolte, Erika Simon, Cornelius Steckner, E. Marianne Stern, Carina Weiß und mit einem Vorwort von Helmut Ricke, Antike Glastöpferei - ein vergessenes Kapitel der Glasgeschichte. Mainz, Verlag Philipp von Zabern (1999). English summary with some added remarks.
Ergänzung: E rrors in a review by B. Hoffmann/ Irrtümer in einer Rezension von B. Hoffmann.

L2001a,    Re-evalutating cage cups. In: Journal of Glass Studies 43 (2001) 174-177

L2004d, Late antique cage cups and their cutting or grinding marks. Instrumentum no.19, juin 2004, 18-20

L2009b, Die nicht geblasenen antiken Glasgefäße - ihre Herstellung von den Anfängen bis zu den Luxus-gläsern der Römer / The non-blown ancient glass vessels - their manufacturing from the beginning to the luxury glasses of the Romans. Verlag der Deutschen Glastechnischen Gesellschaft, Offenbach 2009.

L2012 (= ursprünglich 2012a) Zum Diatret aus Grenoble: a) On the Thick- or Double-walled Cutting Blanks of Cage Cups.  b) Mehr zum Bericht über die Fragmente in JGS 53/2011. Eine Zuordnung.                                                                                                                  Pressglaskorrespondenz online: http://www.pressglas-korrespondenz.de/aktuelles/pdf/pk-2012-1w-lierke-diatretglas-grenoble-2011.pdf

L2013 (=ursprünglich 2012b)   On the Manufacture of Diatreta and Cage Cups - from the Pharos Beaker to the Lycurgus Cup. In: Chris Entwistle, Elisabeth James, eds. New Light on Old Glass. British Museum Research Publication No.179, 89-102, British Museum Press, London.                   R.Lierke-academia.edu

 

                             Literatur mit Erwähnung von Diatretherstellungsspuren

L2016a R.Lierke, “David Whitehouse, Cage Cups - Late Roman Luxury Glasses“und die Theorien zur Herstellung der Diatretgläser”  pk-2016-1w-lierke-whitehouse-cage-cups-diatret-2015.pdf ( Herstellungsspuren mit deutschen Kommentaren)

 L2016b  On the Manufacture of Cage Cups in “Whitehouse 2015” (5 illustrated manufacturing marks of cage cups with English comments), R.Lierke-academia.edu

 siehe hier “CageCups/survey” (Manufacturing marks with English comments)

 

10 Fragen an einen Vertreter der Schleiftheorie

Die 10 Fragen wurden 1996 während des Treffens der deutschen Glashistoriker (Fachausschuß V der DGG) in Halle präsentiert. Die Antworten hier basieren auf L2001a und korrigieren, wo erforderlich, Welzel, JGS 45 (2003) 186-189. Sehr wichtig ist die inzwischen erschienene Arbeit von A. Gerick (s.o.).

Dieser Text wurde am 17. 2. 2004 fertiggestellt, 14. 8 2005 aktualisiert, Lit.Ergänzungen 04.05.2012, April 2016 aktualisiert.

 

1. Wie erklären Sie die relativ grobe Schleifarbeit an Maschenkanten und Stegen im Gegensatz zu der angeblich perfekt und gleichmäßig auf 1-2mm Stärke ‚geschliffenen’ Becherwand?

Meine Antwort: Die in der Regel erstaunlich groben Schleifspuren an Maschenkanten und Stegen der Diatretgläser machen es äußerst unwahrscheinlich, dass die dünnwandigen Becher mit ihrem Netz aus einem dickwandigen Rohling geschliffen wurden.

Die Stege mussten auch bei einem zweischalig gepressten Schleifrohling beschliffen werden, um sie optisch möglichst hinter den Maschenkreuzen verschwinden zu lassen, da die Diatretgläser in der Regel Lampen waren. Die grobe Schliffqualität von Maschenkanten und Stegen der Originale entspricht dem Stand der Glasschneidekunst, wie er durch andere Beispiele mit Schliffdekor aus der Entstehungszeit der Diatretgläser ausreichend dokumentiert wird. Noch heute ist vor allem das Schleifen des dünnwandigen Innenbechers für ein Diatretreplikat eine schwierige Aufgabe. Diese Aufgabe wäre mit dem antiken Werkzeug und Material noch viel problematischer gewesen. Das gilt vor allem, weil das Glasmaterial in der Regel Blasen enthielt (siehe Frage 3) und die unerlässliche Spannungsfreiheit eines dickwandigen Rohlings nicht gewährleistet war. Häufig belegen Spannungsrisse in geschliffenen oder gravierten antiken Gefäßen, dass die Kühlung nach der Herstellung noch nicht optimal beherrscht wurde. Bei einem dickwandigen Glas, das geschliffen werden soll, ist aber die Spannungsfreiheit besonders wichtig - und der Temperaturverlauf für die richtige Kühlung besonders kritisch.

Die Behauptung, Edelsteinschleifer hätten die Diatretgläser geschliffen, da nur Edelsteinschleifer die dazu erforderliche Technik beherrschen, ist eine Mystifizierung der zweifellos schwierigen Aufgabe, ein Diatret(replikat) aus einem dickwandigen Rohling zu schleifen. Heute lernen Glasschleifer und Graveure in ihren Fachschulen, mit dem Umfang des Rädchens zu schleifen, während Edelsteinschleifer das gleiche Werkzeug auch mit der Stirnfläche einsetzen. In der Antike ist eine derart rigoros spezialisierte Ausbildung nicht vorstellbar, und sie ist darüberhinaus auch nicht erforderlich. Fritz Schäfer, der 1968 sein erstes Diatretreplikat schuf, benötigte keine Edelsteinschleifer-Ausbildung. George Scott war ein cabinet maker und hat ohne Edelsteinschleifer-Ausbildung hervorragende Diatretglasreplikate hergestellt. Allerdings in jedem Fall mit modernem vibrationsfreiem Schleifgerät und aus zuverlässig spannungsfrei gekühlten Schleifrohlingen. Solche Werkzeuge, sowie spannungsfrei gekühlte dickwandige Schleifrohlinge hat es in der Antike garantiert noch nicht gegeben. Moderne, aus einem dickwandigen Rohling geschliffene Replikate sind deshalb kein Beleg für die antike Herstellungstechnik.

                                                                                                                                    

2. Wie erklären Sie die Existenz von Diatretgläsern mit blankem Becher ohne Schleifspuren, während andere Diatretgläser Schleifspuren rund um die Stegansätze zeigen?

Meine Antwort: Die nachweisbare Existenz von Diatretgläsern ohne Schleifspuren auf dem Innenbecher unterstützt die Vorstellung, dass diese Becher nicht aus einem dickwandigen Rohling geschliffen wurden.

Kleeblattförmig um die Stege angeordnete Schleifspuren sind die einzigen Schleifspuren, die häufig auf der Außenseite der Diatret-Innenbecher zu finden sind. Sie stammen von der Stirnfläche des Schleifrädchens mit dem die Stege beschliffen wurden. Es haben jedoch nicht alle Diatrete diese Spuren. Zum Beispiel hat der Netzbecher aus Niederemmel im Landesmuseum Trier nach der Aussage von H. Eiden (ehem. Direktor) keine Schleifspuren auf der Außenseite des Bechers. [H. Eiden, Aus der Schatzkammer des antiken Trier, 1951, S. 38]. Heute hat der Becher eine Schutzschicht, die aber auf Grund ihrer fachgerechten Ausführung evtl. vorhandene Schleifspuren auch nicht verdecken würde (Das ist die persönliche Auskunft des damaligen Trierer Restaurators R. Wihr, der die Schutzschicht aufbrachte.) A. Gerick hat bei einer genaueren Untersuchung einige wenige Schleifspuren gefunden, die vermutlich auch auf das Beschleifen der Stege zurückgehen.

Der Innenbecher des großen Hohensülzener Diatrets (seit Kriegsende verschollen) war nach A. Kisa „vom Schleifrade vollkommen unberührt“ [Das Glas im Altertume II, S. 621]. Offenbar hat der Diatretschleifer beim Beschleifen der Stege in diesen Fällen so sorgsam gearbeitet, dass die Stirnfläche seines Schleifrädchens den Innenbecher nicht berührte. Ein weiteres schleifspurenfreies Diatret ist der Fischbecher im Nationalmuseum Budapest (persönl. Beobachtung).

Bei einigen, aus einem dickwandigen Rohling geschliffenen Replikaten kann man dagegen schon mit bloßem Auge die winzigen Schleiffacetten erkennen – eine neben der anderen – mit denen die konvexe Rundung des Innenbechers ‚modelliert’ wurde.  Solche Schleifspuren findet man auf keinem Original. [Siehe Ergänzung].

In L2004d werden die tatsächlichen oder möglichen Schleifspuren der Diatretgläser verglichen. Die wörtlichen Kisa-Zitate finden Sie hier .

     

3. Wie erklären Sie flachgedrückte große Blasen in den dünnwandigen Partien eines Diatretglases, während aufgeschliffene Blasen auffällig fehlen?

Meine Antwort: Flachgedrückte Blasen in den dünnwandigen Partien eines Diatretbechers sind ein eindeutiger Beweis dafür, dass dieser Diatretbecher nicht aus einem dickwandigen Rohling geschliffen wurde. 

Blasen in dickwandigen Bechern würden in keinem Fall flachgedrückt an der inneren Becherwand sitzen, egal, ob dieser Becher geblasen oder gepresst worden ist. Die Blasen wären immer rund, entweder kugelig oder langgestreckt. Sie wären außerdem immer statistisch in der ganzen Becherwand verteilt.

Beispiele für Diatretgläser mit flachen Blasen, deren Durchmesser so groß wie oder größer als die Wandstärke an der entsprechenden Stelle ist, findet man u. a. im Römisch Germanischen Museum Köln (der Becher aus Köln-Braunsfeld mit vielen flachen Blasen, eine besonders große rechts neben dem Omega), und in der Staatlichen Antikensammlung München (der Becher aus Köln/ Benesisstraße mit einer großen Blase unter dem Netz), aber auch der Becher aus Niederemmel im LM Trier oder der Lykurgusbecher im Britischen Museum in London und andere haben große flache Blasen in ihrem dünnwandigen Innenbecher. Die dünnwandigen Partien mit den flachgedrückten Blasen müssen durch einen komplexen Pressvorgang entstanden sein (siehe Abbildung oben). Die flachgedrückten Blasen in den Innenbechern einiger Diatretgläser sind deshalb ein eindeutiger Beweis dafür, dass diese Diatretgläser nicht aus einem dickwandigen Rohling geschliffen wurden.

Übrigens fallen auch bei blasenreichen Diatretgläsern keine aufgeschliffenen Blasen auf. Moderne, aus blasigem Glas geschliffene Objekte, z. B. geschliffene Objekte aus pâte de verre, bei denen aufgeschliffene Blasen noch nicht durch eine Kunststoffmasse verfüllt wurden, erinnern mit ihrer Oberfläche an wurmstichiges Holz. Niedrige, scharf begrenzte, kugelabschnittförmige Mulden, sind als typische Verwitterungserscheinung des antiken Glases zu erklären. Aufgeschliffene Blasen wären unterschiedlich tief. 

 

4. Wie erklären Sie die umlaufenden, nicht wegpolierten ‚Kratzspuren’ auf der Innenseite vieler Becher?

Meine Antwort: Die typischen horizontal umlaufenden Kratzer sprechen dafür, dass die Schleifrohlinge der Diatretgläser drehend gepresst worden sind.

Die häufig auf der Innenseite anzutreffenden horizontalen Kratzer der Diatretgläser entsprechen in ihrer Ausprägung den typischen Kratzern von Gläsern der frühen Römischen Kaiserzeit, die als eine Art ‚Produktionsfehler’ beim drehenden Pressen zu erklären sind [zu diesem wichtigen Thema siehe L2002b, L2003b, L2004b (online), L2004c]. Die Kratzer sind in der Regel endlich, also nicht kontinuierlich umlaufend, nicht strikt parallel und separat in eine blanke Fläche eingegraben. Sie sind nicht bei allen, aber bei fast allen Diatretgläsern auf der Innenseite zu finden, nicht aber bei Bergkristallgefäßen oder bei den geschliffenen Diatretreplikaten. Diese Kratzer sind keine Schleifspuren. Es wäre auch völlig unlogisch, wenn grobe Schleifspuren auf der gut sichtbaren und zugänglichen Innenseite verbleiben, während die unter dem Netz schwer zugängliche Außenseite perfekt poliert worden sein soll.

     

5. Wie erklären Sie den immer unterhalb des ausgestellten Randes umlaufenden Grat, der bei geschliffenem Glas völlig unmotiviert erscheint?

Meine Antwort: Der umlaufende Grat oder Reif entspricht dem zur Verstärkung gepressten Wulstrand der frühen Facettenschliffbecher, er sitzt nur an einer tieferen Position, wie sie für die Aufhängung eines Diatrets als Lampe sinnvoll ist.

Es ist absolut nicht überzeugend, dass dieser typische Reif zwangsläufig beim Dünnerschleifen des  ausgestellten Randes entstand. Die Bergkristall-Lampe im Tesoro di San Marco hat keinen umlaufenden Reif. Mit der an Maschen und Stegen dokumentierten Unsicherheit beim Schleifen wäre der feine Reif sicher irgendwo durchtrennt worden. Es ist dagegen vorstellbar, dass der Reif eine Formgrenze markiert oder bewusst in der Pressform vorgegeben wurde, um – wie der gepresste Wulstrand der Facettenschliffbecher – der Verstärkung zu dienen. Angesichts des Diatretglases im Corning Museum of Glass, dessen originale Aufhängung knapp unter dem Reif angebracht ist, erscheint das sinnvoll. Eine partielle Verdoppelung des Reifs beim Niederemmeler Diatret kann unmöglich als Fehler eines mühsam durch Hochschnitt hergestellten Reifs rklärt werden.

 

6. Wie erklären Sie die flache Rückseite der Glasnetze bzw. Figuren und deren gleichmäßigen (zum Boden leicht zunehmenden) Abstand vom Innenbecher?

Meine Antwort: Die flache Rückseite der Netzmaschen und der Glieder oder Äste von Figurendiatreten ist durch die Benutzung eines entfernbaren Zwischenbechers (siehe Abbildung oben) beim Pressen leicht zu erklären.

Es ist zunächst erstaunlich, dass die nicht sichtbare Unterseite der Maschen eines Netzdiatrets bzw. der Glieder oder Äste eines Figurendiatrets so perfekt glatt ist und mit der seitlichen Netzkante immer einen spitzen oder rechten Winkel einschließt. Warum sollte der Glasschleifer der nicht sichtbaren Unterseite so viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet haben als den sichtbaren Maschenkanten und Stegen? Warum hat er sein Risiko nicht dadurch vermindert, dass der Übergang von seitlicher Kante zur Unterseite einer Masche stumpfwinklig oder rundlich gearbeitet wurde (wie häufig bei Replikaten)? Die flache Unterseite des Netzes der Diatretgläser und ihr gleichmäßiger und ausreichender Abstand vom Innenbecher ist ein starkes Argument für die Verwendung eines Zwischenbechers bei der Herstellung. Das hat auch T. E. Haevernick schon so gesehen, sie gehörte zu den vielen Wissenschaftlern, die schon früh an der Fremersdorf’schen Schleiftheorie zweifelten.  L1999, 121/ 122

 

7. Wie erklären Sie die stereotype Wiederholung der Netzmuster bei angeblich aus einem dickwandigen Rohling geschliffenen Gläsern?

Meine Antwort: Durch die in regelmäßigen Abständen angeordneten Perforationen eines Zwischenbechers beim Pressen wurde die Anordnung der Stege und damit die der Netzmaschen vorgegeben.

J. Welzel hat den strengen Rhythmus erklärt, mit dem er die Maschen eines Netzbecher-Replikats aus einem dickwandigen Rohling schleift (Glastech.Ber. 51, 1978) . Doch warum gab es beim Schleifen aus einem dickwandigen Rohling keine größere Freiheit in der Gestaltung eines Netzdiatrets? Offenbar war die Position der Stege für das typische Netzwerkmuster vorgegeben. Sogar bei Figurendiatreten (z. B. dem Fischbecher in Budapest) sind die Stege (und damit die Seetiere) regelmäßig angeordnet – anders als bei der Bergkristalllampe in San Marco. 

Wenn man statt eines dickwandigen Rohlings einen zweischaligen Rohling mit regelmäßig angeordneten Verbindungsbrücken nach Welzels Beschreibung beschleift, fällt nach je acht Kerbschnitten eine (wiedereinschmelzbare!) Scherbe heraus, und die Schleifarbeit ist damit bereits zum größten Teil erledigt (siehe Abbildung oben). Beim Schleifen aus einem dickwandigen Rohling fängt sie in diesem Stadium erst richtig an, es müssen noch über 75% des wertvollen Glasmaterials in wertlosen Schleifstaub verwandelt werden. Die Umgestaltung von Maschen und Stegkreuzen zu Blättern und Ranken ist unabhängig vom Verfahren.

 

8. Wie erklären Sie runde Stege und Stege, die nicht vom Innenbecher bis zum Netz reichen, sondern mit runder Spitze davor enden (Hohensülzen)?

Meine Antwort: Runde Stege und zu kurze Stege mit gerundeter Spitze sprechen dafür, dass sie beim Pressen unter Verwendung eines perforierten Zwischenbechers entstanden.

Der Verbleib des Hohensülzener Diatrets ist leider seit dem Ende des 2. Weltkrieges unbekannt. Wir besitzen jedoch eine detaillierte Beschreibung von A. Kisa aus ‘Das Glas im Altertume II’, S. 621 (wiederholt S. 622). Er bemerkt runde Stege, von denen einzelne zu kurz geraten sind und mit rundlicher, nicht etwa abgebrochener Spitze unter dem Netz enden. Runde Stege wurden auch von anderen bei Untersuchungen festgestellt (z. B. C. Steckner, Keramos H. 169, 2000, 99-104 beim Kölner Diatret, dazu auch Wikipedia “Diatretgläser” mit einer Abbildung ungeschliffener Stege oder A. Gerick). Es ist nicht überzeugend, dass beim mühsamen Schleifen durch die Netzmaschen hindurch (also immer mit eingeschränkter Bewegung des Schleifrädchens) in der Regel grob kantige, manchmal fast durchgeschliffene Stege entstehen - und sozusagen ‚aus Versehen’ gelegentlich perfekt runde. Eine halbautomatisch angefertigte Zeichnung von J. Röder (Kölner Jahrbuch 6, 1962/63, Abb.1) zeigt, dass die teilweise gerundeten Stegstümpfe eines vermutlich unfertigen Diatretfragments alle dicker sind als die kantig beschliffenen Stege.  

Runde Stege, die mit einer abgerundeten Spitze nicht ganz bis zum Netz reichten, entstanden auch bei meinem ersten Versuch, einen zweischaligen Becher zu pressen. Stege, die homogen mit dem Innenbecher verbunden sind, wie bei diesem Versuchsergebnis, entsprechen auch den Erkenntnissen der naturwissenschaftlichen Untersuchungen, die T. E. H. Haevernick 1956 in Auftrag gab [H. Hannes, Technische Beiträge zur Archäologie I (1959)] und die später von R. H. Brill in einer davon unabhängigen Untersuchung bestätigt wurden  [JGS 6 (1964)]. Homogen mit dem Innenbecher verbundene Stege sind deshalb keinesfalls ein Beweis einer Herstellung durch Schleifen aus einem dickwandigen Rohling, wie das vom Autor des chapter 6 in D.Whitehouse, Cage Cups, 2015 postuliert wird.

 

9. Wie erklären Sie die gelegentlich leicht schwingenden Konturen des Gefäßrandes oder eine schräge Netzoberkante?

Meine Antwort: Die leicht schwingenden Konturen der Originale können nur im heißen Zustand entstanden sein. 

Insbesondere gilt das für den Rand. Der in der Regel ausgestellte Rand wurde sicher nicht aus einem dickwandigen Rohling geschliffen. Durch Schleifen werden die steifen, exakten Formen der Replikate erzeugt und keine schräge Netzoberkante oder ein schwingender Rand. 

     

10. Wie erklären Sie das Fehlen von Netzbechern aus Stein?

Meine Anwort: Die Herstellung der Diatretgläser war ein glasspezifisches Verfahren.

Die Anzahl der bekannt gewordenen gläsernen Netzbecher (einschließlich Fragmente, ohne Figurendiatrete) nähert sich 70. Das ist eine erhebliche Anzahl, da man damit rechnen muß, dass ein großer Teil der äußerst fragilen Glasbecher in unkenntliche kleine Scherben zerfallen ist, oder sich bei ungünstiger Erdlagerung vollkommen aufgelöst hat bzw. wieder eingeschmolzen wurde. Glasnetzbecher dürften deshalb in der Antike ein durchaus verbreiteter Luxusartikel gewesen sein. Obwohl Steingefäße eine erheblich größere Chance haben, die Zeiten zu überdauern, wurde noch kein einziger Netzbecher aus Stein, nicht einmal ein steinernes Netzfragment gefunden.

 

Ergänzung

Jede konvex gekrümmte Fläche muß zwangsläufig beim Schleifen aus einem dickwandigen Rohling aus winzigen Facetten modelliert werden. Das zeigt auch das frühe Replikat des Lykurgosbechers von Josef Welzel. Die Fläche der Wange (Pfeil) ist aus einer Vielzahl kleinster Facetten modelliert. Der Künstler hat sich in diesem Fall entschieden, die Fläche so zu zu zu belassen. Man stelle sich vor, wieviel Arbeit es bedeuten würde, die im Original (rechts) plastisch gerundeten Haarstränge, Falten, Brauen etc. zu erzeugen. Sie wurden deshalb auch im Replikat - für einen Graveur werkgerecht - als Rillen markiert. Das Original zeigt dagegen ein typischerweise geformtes, evtl. anschließend hinterschnittenes Relief (die ‘Hinterschneidung’ kann auch durch Pressen in eine Gipsform vorgegeben sein). Die        schwache Marmorierung des ganzen rechten Bildes ist durch die Rasterung der stark vergrößerten Vorlage (aus Glas der Caesaren) bedingt.  

 

Zwei Anmerkungen

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Diatretglas-Replikate, die aus dickwandigen Rohlingen geschliffen wurden, sind bewunderungswürdige Errungenschaften. Die zu ihrer Herstellung erforderliche außerordentliche Kunstfertigkeit steht ebenso außer Frage wie der aesthetische Reiz dieser Objekte. Darüberhinaus kann die Nachschöpfung eines verlorenen Originals nach einer Zeichnung oder einem Fragment ein wertvoller Beitrag sein, unser Wissen über die Vergangenheit zu erweitern. Wir müssen jedoch mit unseren Rückschlüssen auf die Methoden der Antike vorsichtig sein. Um die Entwicklung der Glasbearbeitungs- techniken zu verstehen, müssen wir genauestens die Herstellungsmerkmale der Originale untersuchen und dürfen uns dabei nicht von den Methoden und Möglichkeiten unserer Zeit in die Irre leiten lassen. .

Einfachste, improvisierte Versuche haben gezeigt, daß ein zweischaliges Objekt mit Verbindungsbrücken auf die vorgeschlagene Weise gepresst werden kann. Gips verbindet sich nicht mit Glas und wird durch Hitze spröde - ist also leicht entfernbar. Details oder Variationen der hier vorgeschlagenen Verarbeitungsweise müssten in systematischen Versuchsserien unter möglichst originalgetreuen Bedingungen geklärt werden. Wurden die Diatretglasrohlinge wirklich genau so gepresst wie hier vorgeschlagen oder etwa kopfüber über einen Kern? Wurde der Rand durch die Zentrifugalkraft geformt? Wurden Innen- und Außenbecher in einem Arbeitsgang gepresst, die Form für einen Kragen horizontal zweigeteilt? Die figürlichen Diatrete entstanden in jedem Fall nach dem gleichen Prinzip mit ähnlichen, z. T. komplizierteren Formen, deren Einzelheiten ebenfalls für jedes Beispiel zu klären sind. .

 

 

 

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